Eine Initiative formiert sich
Nach der Landtagswahl haben sich im November 2019 in Thüringen tätige Historiker*innen zusammengefunden, um kritische Geschichtsforschung zu erhalten und der neu auflebenden Geschichtsklitterung aus (neo-)völkischen Kreisen entgegenzutreten. Mehr als achtzig historisch arbeitende Institutionen, Vereine und Individuen haben sich der Initiative Historiker*innen für ein Weltoffenes Thüringen bis heute angeschlossen. Darunter befinden sich Vertreter*innen von Museen, Geschichtsvereinen, Archiven, Gedenkstätten, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Forschende an den Historischen Seminaren der Universitäten Erfurt und Jena.
Durch ihren Zusammenschluss wollen Historiker*innen in Thüringen öffentlich machen, was sich in ihrer täglichen Arbeit mit historischen Quellen immer wieder bestätigt: Vielfalt, in welcher Form auch immer, war die Voraussetzung für ein friedliches und produktives Zusammenleben von Menschen. Dies gilt umso mehr für die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts, deren globale Vernetzung zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Gleichwohl lernt man aus der Geschichte und aus der Gegenwart, dass offene Gesellschaften und globale soziale Gerechtigkeit immer wieder neu erstritten und verteidigt werden müssen.
Ideologien, die auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beruhen, die bestimmte Gruppen als »die Anderen« ausschließen und ein Trugbild von ethnischer Reinheit in die Welt setzen, missachten dabei Ergebnisse der historischen Forschung: Kategorien wie »Ethnie«, »Rasse« oder auch »Nation« sind nicht natürlich in der Welt, sondern menschengemachte Konstrukte. Solche Ideologien, die in Thüringen vor allem in Form von (neo-)völkischen Phantasien auftauchen, widersprechen also in eklatanter Weise den Ergebnissen akribischer und quellenkritischer Forschung. Darum ist es den Historiker*innen für ein Weltoffenes Thüringen ein Anliegen, deutlich zu machen, wie wenig solche Exklusionsphantastereien mit den Erkenntnissen der Geschichtswissenschaften zu tun haben. Pseudo-historiographische Pamphlete, wie sie auch in Thüringen produziert wurden, sind das Gegenteil jeglicher quellenkritischen Methode, wie sie seri.se Historiker*innen schon immer erfolgreich anwenden.
Die Initiative Historiker*innen für ein Weltoffenes Thüringen wendet sich darum ebenso gegen Versuche, die kritische und multiperspektivische Geschichtsarbeit in Thüringen zurückzudrängen, und durch Provokationen in Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen zu unterlaufen. Die Initiative weist darauf hin, dass Weltoffenheit und Differenzierungsfähigkeit nicht nur eine Bedingung für eine funktionierende Gesellschaft sind, sondern auch die Voraussetzung, um historische Phänomene adäquat zu untersuchen und zu erklären. Es geht dabei um einen Weitblick, der es ermöglicht, historische Entwicklungen aus allen Winkeln zu beleuchten und nur so richtig verstehen zu können. Lokale Geschichte ist dabei nur in ihrer globalen Vernetzung zu verstehen; und lokale Geschichten machen umgekehrt die Globalgeschichte aus. Die Akzeptanz von Migration und die Auseinandersetzung mit globalen Strukturen helfen uns, die Welt und ihre Geschichte(n) besser zu verstehen. Migration ist darum genauso ein konstitutives Element unserer Gesellschaften wie das An-Einem-Ort-Bleiben. Beide gegeneinander auszuspielen ist irreführend und historisch unkorrekt, da sie schon immer koexistierten und produktiv wirkten. So ist die Offenheit gegenüber migrantischen Perspektiven eine unabdingliche Voraussetzung für kritische Wissensproduktion. Um einen Rückfall in völkische Zeiten zu verhindern, sprechen sich die Historiker*innen darum für ein globales Bewusstsein, für Weltoffenheit und für soziale Gerechtigkeit in Thüringen und darüber hinaus aus. Die Initiative lädt alle historisch Interessierten und Arbeitenden ein, daran mitzuwirken. Hier geht’s zur Resolution von HiWelt.
DR. SEBASTIAN DORSCH
ist Koordinator des Forschungsprojekts »Was ist westlich am Westen?« an der Universität Erfurt.
PAULINE LÖRZER
ist Volkskundlerin und Leiterin des Stadtmuseums Camburg.
DR. FLORIAN WAGNER
ist Akademischer Rat in der Zeitgeschichte an der Universität Erfurt.
Alle drei gehören zu den zahlreichen Gründungsmitgliedern der Initiative.
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